Stille Reserven - Fluch oder Segen?

Das Vorsichtsprinzip ist ein elementarer Grundsatz der Schweizer Rechnungslegung und zugleich eine Schweizer Eigenheit. Auch unter dem seit 1. Januar 2013 geltenden Rechnungslegungsrecht ist die Bildung so genannt stiller Reserven zur Sicherung «des dauernden Gedeihens des Unternehmens» gemäss Art. 960a Abs. 4 des Schweizer Obligationenrechts explizit zulässig.

In guten Zeiten bietet sich dadurch eine willkommene Möglichkeit den steuerbaren Gewinn zu mindern. Dabei werden häufig Forderungen und Vorräte in der steuerrechtlich akzeptierten Höhe wertberichtigt, nicht mehr notwendige Rückstellungen nicht aufgelöst oder wenn es die Liquidität erlaubt Arbeitgeberbeitragsreserven einbezahlt. Letzteres gewann in Zeiten der Negativzinsen an Bedeutung, um überschüssige Liquidität abzuführen und dadurch neben Steuern auch Zinsen zu sparen. In weniger guten Jahren können die stillen Reserven schliesslich aufgelöst werden. Durch eine sinnvolle Abschlussgestaltung lässt sich daher ein Polster für weniger gute Zeiten schaffen und in guten Jahren Steuern sparen.

Die Krux ist, dass die stillen Reserven nicht offengelegt werden müssen und dadurch «still» sind. Die Beurteilung wie eine Unternehmung tatsächlich dasteht, wird damit deutlich erschwert. Eine Hilfe bei dieser Beurteilung ist dabei der Anhang zur Jahresrechnung, in dem eine Auflösung solcher Reserven offengelegt werden muss. Eine Bildung bleibt den Lesenden einer Jahresrechnung jedoch unbekannt und ihnen wird nicht ersichtlich, wie hoch der Bestand an stillen Reserven tatsächlich ist. Es wird also praktisch verunmöglicht das Jahresergebnis und die Substanz eines Unternehmens konkret beurteilen zu können. Abhilfe schaffen hier anerkannte Rechnungslegungsstandards, wie Swiss GAAP FER oder internationale Rechnungslegungsstandards, die auf dem Prinzip der tatsächlichen Verhältnisse («true and fair view»-Prinzip) beruhen. Unter diesen Standards, die international überwiegen und wodurch die stillen Reserven zur Schweizer Eigenheit werden, ist eine Bildung von Reserven, die nicht zwingend die Realität abbilden, nicht zulässig. Entsprechend führt kein Weg an einem anerkannten Standard vorbei, um den tatsächlichen Zustand einer Unternehmung beurteilen zu können. Damit die Unternehmensleitung Kenntnis über die tatsächlichen Verhältnisse hat, ist zumindest ein Inventar über die stillen Reserven zu führen. Dies aber nicht nur der internen Transparenz halber, sondern auch um der gesetzlichen Pflicht zur Offenlegung einer allfälligen Auflösung nachkommen zu können.

Für den Bilanzlesenden mögen sie also ein Fluch sein, die stillen Reserven, für ein Unternehmen sind sie jedoch ein Segen.

Bei Fragen zur Abschlussgestaltung, bei der Einführung einer Rechnungslegung nach anerkanntem Standard oder bei der Interpretation von Jahresrechnungen stehen wir Ihnen gerne begleitend zur Seite.

Reto Käser

Reto Käser

Partner, Teamleiter-Stv.

Dipl. Wirtschaftsprüfer
Master of Arts HSG in Rechnungswesen und Finanzen


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